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Kooperation zwischen Frontex und der sogenannten Libyschen Küstenwache

In der ersten Hälfte des Jahres 2021 sind bereits zwischen 700 und 1000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, doppelt so viele wie letztes Jahr – und es gibt eine hohe Dunkelziffer. (Zahlen variieren je nach Quelle)

Ein Bericht der Schweizer Pilot*inneninitiative „Humanitarian Pilot Initiative“, die in Kooperation mit Sea Watch sowohl die Seenotrettung aus dem Luftraum unterstützt, als auch Berichte über den Mittelmeer-Fluchtraum abgibt, beschreibt wieder einmal das brutale Vorgehen der sogenannten libyschen Küstenwache, die von der EU finanziert und ausgebildet und von Frontex unterstützt wird. Bis 2020 waren es über 90 Millionen Euro, die die Europäische Union an die sogenannte libysche Küstenwache zahlte, damit der klare Auftrag – Menschen an der Überfahrt nach Europa hindern – erfüllt wird. Sogenannte Libysche Küstenwache deshalb, weil viele derjenigen, die hier beschäftigt werden ehemalige Warlords und Mitglieder von Milizen sind. Seenotretter*innen wollen mit dieser Bezeichnung klar erkenntlich machen, dass es sich hier um keine Organisation handelt, die Rettung und Hilfe zum Ziel hat. Es ist allgemein bekannt, dass sie häufig in Push- und Pullbacks involviert ist und das eben nicht nur in libyschen Gewässern. Das verstößt gegen das im Völkerrecht verankerte „Non-Refoulment“-Prinzip, welches verbietet Menschen in Staaten zurückzuführen, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. In Libyen werden Menschen Berichten zufolge gefoltert, sexuell missbraucht, vergewaltigt und versklavt.

Laut Angaben von NGOs und Journalist*innen begeben sich Schiffe der sogenannten libyschen Küstenwache auch in maltesische Gewässer. Dort liegt die Verantwortung aber nicht in ihrer Hand. In einem beschriebenen Fall ist auch eine Drohne der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex Vorort. Mitglieder der Seenotrettungsorganisationen vermuten hierbei eine Kooperation, indem Frontex die libyschen Schiffe auf die Menschen auf der Flucht aufmerksam macht. Auf Anfrage des SRF dementiert Frontex diese Anschuldigung, Berichte vom Spiegel, dem Journalist*innen Kollektiv Lighthouse Reports, der ARD, der italienischen Zeitung Domani und der französischen Zeitung Libération weisen auf das Gegenteil hin.

Das Investigativteam hat basierend auf einer Datenbank 94 versuchte Überfahrten rekonstruieren können (hierbei ist wichtig hinzuzufügen, dass dies keineswegs eine vollständige Liste ist). Bei 54 dieser hat die sogenannte libysche Küstenwache die Überfahrt behindert, in 20 Fällen befand sich nachweislich ein Luftfahrzeug von Frontex in nächster Nähe und es lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass die Grenzschutzagentur über den Standort und die Situation der Boote Bescheid wusste. In 12 Fällen taten sie dies mit Sicherheit vor allen anderen Akteuren. Basierend auf den Daten lässt sich ein Muster feststellen, in dem Boote, auf denen sich Schutzsuchende befinden durch Frontex gesichtet werden und in Folge darauf die sogenannte libysche Küstenwache, nicht aber Handelsschiffe oder Seenotretter*innen in nächster Nähe informiert werden. Es gibt Berichte über WhatsApp-Gruppen, in denen Koordinaten von Schutzsuchenden von Frontex und den libyschen Verantwortlichen geteilt werden.

Diese Beweise deuten auf ein Level an Beteiligung von Frontex und der EU an den Operationen der sogenannten libyschen Küstenwache hin, das laut Expert*innen gegen europäisches und internationales Recht verstößt.

In dem Fall, der im Bericht  der „Humanitarian Pilot Initiative“ beschrieben wird, befand sich auch ein Handelsschiff aus Malta in der Nähe, das nach internationalem Seerecht eigentlich hier die Verantwortung trüge, den Menschen auf dem Boot zur Hilfe zu kommen. Laut Angaben von NGOs bekommen solche Handelsschiffe aber oft die Anweisung zu warten, damit libysche Schiffe ihnen zuvorkommen und die Menschen von Europa fernhalten können. Manchmal passiert es, dass dies zu lange dauert, sodass die Boote sinken.
Handelsschiffe stehen auch zunehmend unter Druck, weil sie, wenn sie Schutzsuchende an Board haben oft tage- oder sogar wochenlang nicht anlegen dürfen.

Ein weiterer Bericht vom 30. Juni 2021 beschreibt, wie die libysche Küstenwache erst versucht hat ein Boot mit 50 Schutzsuchenden an Board zu rammen und schließlich  Schüsse abfeuerte. Videoaufzeichnungen von der „Seabird“, dem Propellerflieger der Pilot*inneninitiative, zeigen den Vorfall. Ermittlungen zu diesem Fall werden momentan von der sizilianischen Staatsanwaltschaft durchgeführt.

Quellen:

https://www.srf.ch/audio/kontext/kontext-sommerserie-die-schweiz-das-meer-und-der-tod-4-9?id=12019935
https://sea-watch.org/libysche_kuestenwache_angriff/
https://sosmediterranee.de/wp-content/uploads/2019/04/Seenotrettung-von-schutzsuchenden-Menschen-im-Mittelmeer.pdf
https://www.lighthousereports.nl/investigation/frontex-in-the-central-mediterranean/
https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean

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