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Frontex‘ Transparenzproblem

Die Grenzschutzagentur unterliegt einer Rechenschaftspflicht und muss sich der Kontrolle des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission sowie Medien und der Zivilgesellschaft unterziehen. Der Frontex-Verwaltungsrat, in dem Vertreter:innen der Grenzbehörden aller Mitgliedstaaten sowie zwei Mitglieder der Europäischen Kommission sitzen, fungiert hier zumindest offiziell als ein Kontrollmechanismus.

Der Artikel 6 der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über  die  Europäische  Grenz-  und  Küstenwache  und  zur  Aufhebung  der  Verordnungen  (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 besagt:

Die Kommission sollte eine Überprüfung der Gesamtzahl und der Zusammensetzung des ständigen Korps vornehmen, einschließlich des Umfangs der Beiträge der einzelnen Mitgliedstaaten zu diesem Korps, sowie dessen Ausbildung, Fachwissen und Professionalität. […]

Die Frontex Scrutiny Working Group, die letzten Monat ihren ersten Bericht veröffentlicht hat, wurde damit beauftragt die Vorwürfe gegen die Grenzschutzagentur zu prüfen. Obwohl Fabrice Leggeri eigenständig den Wunsch nach guter Zusammenarbeit mit der Frontex Scrutiny Working Group betont hat, wurden Dokumente teilweise nicht fristgerecht abgeliefert und der Zugang zu den Dokumenten wurde nur teilweise gewährleistet.

Im letzten Jahr starteten zwei unabhängige Aktivist:innen, Luisa Izuzquiza und Arne Semsrott den Versuch, an Daten über die von Frontex eingesetzten Schiffe zu kommen. Teile dieser Informationen wurden von der Agentur selbst auf ihren diversen Social Media Kanälen sowie auf ihrer Website zur Verfügung gestellt. Es wurde ein Gerichtsprozess gegen Izuzqiza und Semsrott eingeleitet, den Frontex gewann. Den beiden wurde eine Rechnung über 23.700 Euro für die von Frontex aufgewandten Anwält:innenkosten ausgestellt. Der Betrag wurde später vom Gericht auf 10.520 Euro reduziert. Diese Summen könnten zukünftig abschreckend auf Privatpersonen und NGOs wirken, die gegen die Agentur vorgehen wollen. Luisa Izuzqiza verwies auf das Grundrecht auf Transparenz und Offenlegung von Informationen, zu dem EU-Einrichtungen gegenüber der Bevölkerung verpflichtet sind. Dieses ist in der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 festgeschrieben.

Das EU-Parlament stellte im April erneut die Anforderung an Frontex, vollständige Transparenz zu gewährleisten, speziell angesichts der geplanten Budgetaufstockung auf 5,7 Milliarden Euro bis 2027. Frontex ist laut eigener Verordnung dazu verpflichtet, aktiv für einen Informationsfluss zum EU-Parlament und zur Kommission zu sorgen.

Laut Angaben des Verwaltungsrates kann sich auch an eine Transparenzstelle innerhalb der Agentur gewendet werden. Diese wurde aber selbst zu Zeiten, zu denen es innerhalb von Frontex massiven Personalzuschuss gab aufgrund mangelnder finanzieller Mittel nicht aufgestockt. Die Stelle bekommt Unterstützung vom Referat für Recht und Beschaffung, welches mutmaßlich auch für die Klage gegen Luisa Izuzqiza und Arne Semsrott verantwortlich war.

Außerdem müssen alle, die einen Antrag auf Dateneinsicht stellen eine Vielzahl persönlicher Daten an Frontex weitergeben. Die Europäische Bürger:innenbeauftragte Emily O’Reilly stellte fest, dass dies nicht den Grundrechten entspricht. Häufig werden Daten nicht innerhalb der vorgesehenen Frist von 15 Tagen übermittelt. Weitere von Statewatch, einem Projekt, das sich aus Anwält:innen, Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen zusammensetzt, eingebrachte Beschwerden werden geprüft, unter anderem eine über versuchte Irreführung der Antragsteller:innen. Es soll auch mehrfach angegeben worden sein, dass einzelne Dokumente nicht existierten. Bei erneuter Nachfrage sollen Nachreichungen und Entschuldigungen gefolgt sein.

Ein Problem sieht Statewatch auch beim Zugang zu Dokumenten für Antragsteller:innen außerhalb der EU. Frontex darf solchen Dokumente zur Verfügung stellen, muss es aber nicht. Statewatch hält dies insofern für problematisch, als dass die Agentur immer häufiger in nicht-EU-Gebiet tätig ist und dass diejenigen, die die Aktivität von Frontex aktiv betrifft, primär Angehörige von Staaten außerhalb der Union sind. Die Erklärung der Agentur, es gäbe wenig Anträge aus Drittstaaten, diese würden sie prüfen und gegebenenfalls stattgeben, kontrastiert Statewatch mit Berichten von Lydie Arbogast von der Organisation La Cimade, welchen zufolge einer senegalesischen Organisation der Antrag auf Informationen über die Operation Hera von 2006 bis 2013 (eine Operation um unautorisierte Fluchtverusche zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln zu stoppen) verwehrt wurde. Einem Antrag auf Einsicht derselben Informationen durch eine europäische Organisation wurde stattgegeben, allerdings waren die Dokumente größtenteils zensiert.

Statewatch vermutet außerdem, dass Frontex bestimmte Antragsteller:innen aktiv benachteiligt. Vergangenes Jahr stellten sie Antrag auf Dokumenteneinsicht, diesem gab Frontex mit der Begründung, die Privatsphäre einzelner nicht gefährden zu wollen sowie das öffentliche Interesse beziehungsweise die öffentliche Sicherheit schützen zu wollen, nicht statt. Mobile Info Team, eine Organisation, die Menschen auf der Flucht mit Informationen versorgt, erhielt vielfach geschwärzte Dokumente. Dem Statewatch-Projekt wurden nicht einmal diese Dokumente zur Verfügung gestellt.

Statewatch sieht die Lösung des Problems und daher das Kernversäumnis von Frontex bei einem öffentlichen Dokumentenregister und einem Lobbying-Transparenzregister. (Speziell nachdem die im Februar veröffentlichten Frontex Files offenlegten, dass Frontex sich entgegen eigener Angaben mit Lobbyisten traf).

Quellen:

https://www.statewatch.org/analyses/2021/frontex-secrecy-and-story-telling-control-of-information-as-super-strategy/

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019R1896&rid=2

https://www.statewatch.org/news/2021/february/frontex-european-parliament-scrutiny-group-begins-inquiry-into-rights-violations-allegations/

https://euobserver.com/migration/147562

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