Der Einmarsch der Taliban in Kabul und der Rückzug internationaler Truppen haben in den vergangen Wochen den medialen Diskurs geprägt. Es gibt hunderttausende „internally displaced persons“, also Menschen, die innerhalb von Afghanistan vertrieben wurden. Bis zu einer halbe Million Menschen könnten laut der Geflüchteten-Agentur der UN bis zum Ende des Jahres das Land verlassen. Die Europäische Union bereitet sich auf steigende Zahlen an Schutzsuchenden vor. Vergangene Woche gab es ein Treffen der EU-Innenminister:innen, zu dem auch der Frontex-Generalsekretär Fabrice Leggeri eingeladen war.
Auch gegenüber France24 hat sich Leggeri zur Situation in Afghanistan und zum europäischen Grenzschutz geäußert. Gemeinsam mit Mitgliedsstaaten will Frontex Notfallpläne erarbeiten, auch weil in den letzten Jahren bereits eine Vielzahl an Afghan:innen in Länder wie den Iran, Pakistan und die Türkei geflüchtet sind, so Leggeri. Aufgrund der Lage in Afghanistan können diese Menschen nun nicht mehr abgeschoben werden und der Frontex-Chef fürchtet, dass so die Anreize für irreguläre Migration in die EU steigen könnten.
Schon seit einiger Zeit testet Frontex an der griechisch-türkischen Grenze und auf Limnos laufend neue Technologien zum Grenzschutz, darunter Drohnen und Zeppeline. Laut Leggeri haben diese aber keinerlei Verbindungen zur aktuellen Situation in Afghanistan. Frontex hat die Möglichkeit neue Technologien zu entwickeln und zu testen, auch unter „realen“ Bedingungen.
In „Le Parisien“ äußert Leggeri die Sorge, dass sich unter jenen, die in Europa von ihrem Recht um Asyl anzusuchen, Gebrauch machen werden, auch Menschen befinden können, die von terroristischen Organisationen instrumentalisiert werden. Fakten und Daten dazu hat Leggeri keine, er sieht es aber Aufgabe von Frontex, mit Mitgliedsstaaten zusammenzuarbeiten und mögliche Risiken aufzuzeigen. Tatsächlich ist das Evaluieren von Fluchtgründen nicht Aufgabe der Grenzschutzagentur, sondern jener Staaten, in denen um Asyl angesucht wird.
Folgend auf Anschuldigungen gegenüber Frontex, an illegalen Pushbacks beteiligt zu sein, gab es eine viermonatige Recherche der Frontex Scrutiny Working Group. Der Spiegel, Lighthouse Reports und andere Medien haben zumindest sechs Fälle seit April genannt, in welchen Frontex Pushbacks in türkische Gewässer nicht verhindert hat. Im Juni soll ein Boot der Agentur Schutzsuchende auf dem Weg ins EU-Gebiet behindert haben. In einem Statement erklärte Frontex „die Notwendigkeit, Berichterstattungsmechanismen auszubauen würde anerkannt, um sicherzustellen, dass keine mögliche Menschenrechtsverletzung unerkannt bleibt“. Die Maßnahmen, die die Agentur seitdem getroffen hat, beinhalten laut Leggeri Verbesserung sogenannter „Serious Incident Reports“ innerhalb der Agentur. Von den ursprünglich bis zum Ende letzten Jahres versprochenen 40 „Fundamental-Rights-Officers“ ist bis heute nur die Hälfte angestellt. Fabrice Leggeri beteuert an dieser Stelle, dass es keine Beweise für Menschenrechtsverletzungen durch Frontex gibt.
Quellen:
https://www.aljazeera.com/news/2020/10/24/eu-border-agency-involved-in-illegal-asylum-pushbacks