Verdacht auf Pushbacks durch Grenzschutzeinheiten gibt es schon lange. Geflüchtete berichten von Gewalt und Zurückschiebung unter anderem durch die griechische Küstenwache und die kroatische Grenzpolizei. Aber auch an der rumänischen, spanischen, italienischen und österreichischen Grenze sollen Pushbacks durchgeführt worden seien. Der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex wird vorgeworfen, in mehreren Fällen zumindest von Pushbacks gewusst und diese nicht gemeldet zu haben. Möglich ist auch, dass Frontex durch die Weitergabe von Daten und Koordinaten zu Pushbacks durch nationale Grenz- und Küstenwachen beigetragen hat. Hierfür gibt es allerdings keine Beweise.
An der kroatischen Grenze hingegen ist es Journalist:innen erstmals gelungen, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Reporter:innen des ARD-Studios Wien, der Lighthouse Reports, des ARD Magazins Monitor, des SRF-Rundschau, vom Spiegel, Novosti und RTL, Pointer und der Zeitung Libération haben monatelang verdeckt Videoaufnahmen gemacht, Interviews geführt, Satellitenbilder ausgewertet, Social Media Kanäle durchforstet und Dokumente gesichtet. So konnten zwischen Mai und September 2021 an 5 Standorten 11 Pushbacks von insgesamt 148 Personen, an denen 38 Polizist:innen beteiligt waren gefilmt werden.
Auf Videoaufnahmen sind maskierte uniformierte Männer mit Schlagstöcken zu sehen, die auf Schutzsuchende einprügeln und sie in den Grenzfluss Korana nach Bosnien treiben. Die Uniformen sind nicht mit Abzeichen versehen, aber die Ausrüstung der Männer weist darauf hin, dass sie zumindest teilweise für die kroatische Interventionspolizei arbeiten. Diese ist dem Innenministerium untergeordnet. Auch interviewte Beamte und ein ehemaliger Mitarbeiter des Innenministeriums bestätigen die Vermutung und eine weitere Aufnahme zeigt einen Polizeioffizier, dessen Kleidung die Aufschrift „Interventionspolizei“ trägt. Die Truppen bestehen zum Teil aus Kriegsveteranen und einige Mitglieder teilen auf Social Media rechtsextreme Inhalte und posieren mit Waffen an der Grenze. Nach Aussage einiger kroatischer Beamter werden Einsätze gegen Schutzsuchende zusätzlich bezahlt und die Beamten in Hotels einquartiert.
Pushbacks sind illegal und verstoßen gegen kroatisches Recht, das Völkerrecht, EU-Recht, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention. Alle Menschen haben ein Recht darauf, um Asyl anzusuchen, ohne abgeschlossenes Verfahren dürfen sie nicht ausgewiesen werden. Das Recht auf einen Asylantrag besteht auch dann, wenn die Menschen auf einem nicht-regulären Weg eingereist sind.
Hinter den Pushbacks wird ein System vermutet, indem Spezialeinheiten eingesetzt werden, um Geflüchtete aus EU-Gebiet zu „jagen“. Die Einheiten arbeiten im Verborgenen – die Regierungen der betroffenen Staaten haben Anschuldigungen diesbezüglich als bloße Erfindungen abgetan.
Beamte geben an, dass die Aktion, die „Operation Koridor“ genannt wird, von hochrangigen Polizeibeamten in Zagreb geleitet wird. Diese entscheiden, ob Pushbacks durchgeführt werden. Gewalt steht auf der Tagesordnung. Ein an der Operation beteiligter Interventionspolizist berichtet, dass den Schutzsuchenden auf die Beine geschlagen würde, ein anderer erzählt, die Anweisungen kämen aus dem Innenministerium. Dieses kündigt an, Untersuchungen durchzuführen.
Mitglieder von NGOs berichten von Hundebissen, Elektroschocks und sexualisierter Gewalt sowohl Frauen als auch Männern gegenüber. Sie sind sich sicher, dass derartige Geschehnisse keine Einzelfälle, sondern bewusste Praktiken der kroatischen Regierung sind. Auch Kettenabschiebungen aus anderen EU-Ländern werden vermutet.
Die Auswertung von Satellitenbildern weist außerdem darauf hin, dass in den letzten Jahren eine Infrastruktur aufgebaut wurde, um Pushbacks leichter durchführen zu können. Sieben neue Schotterstraßen, die bis zur bosnischen Grenze führen, sind entstanden, direkt an der Grenze enden sie.
Bosnische Grenzbeamte erzählen von mehreren Vorfällen, in denen Menschen so schwer verletzt waren, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten.
Auch die griechische Küstenwache führt aller Wahrscheinlichkeit nach Pushbacks durch – sowohl direkt auf dem Meer als auch, indem sie bereits angekommene Geflüchtete auf Rettungsinseln zurück aufs Meer schleppen. Diese Informationen lassen sich Berichten von Schutzsuchenden, sowie mehreren Videoaufnahmen entnehmen. Ein ehemaliger griechischer Grenzbeamter erzählt, dass seit März 2020, seitdem die Türkei Geflüchtete kaum noch an der Durchreise hindert, die Maßnahmen durch den Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis verschärft wurden. Auch hier werden Eliteeinheiten – MYA und KEA – eingesetzt. Der Beamte erzählt, dass Befehle nicht schriftlich weitergegeben würden, aber von ganz oben kämen.
Die EU-Kommissarin Ylva Johansson will Kontrollmechanismen einsetzen. In Kroatien gibt es solche bereits, aber die Unabhängigkeit dieser Mechanismen ist fraglich. Angaben zufolge würde vor Kontrollen Bescheid gegeben und mindestens zwei der fünf Organisationen würden durch die kroatische Regierung mitfinanziert. Diese sei auch für die Auswahl der Organisationen zuständig. In Griechenland gibt es nicht einmal derartig niederschwellige Überwachungsmechanismen.
Die Arbeit der nationalen Grenzschutzorganisationen wird außerdem massiv durch EU-Gelder gewährleistet. In den vergangen Jahren wurden mehr als 422 Millionen Euro an Griechenland und mehr als 110 Millionen Euro an Kroatien gezahlt. Die deutsche Regierung ließ Kroatien außerdem Ausrüstungen zukommen. Aber die Finanzierung der Pushbacks durch EU-Gelder lässt sich noch viel direkter nachvollziehen. So lässt sich Dokumenten entnehmen, dass die Unterbringung von Beamten der „Operation Koridor“ und Überstunden, sowie Teile der Ausrüstung der bereits zuvor erwähnten kroatischen Interventionspolizei von der EU finanziert wurden. 177 Millionen Euro sollen dafür aus dem Asyl-/Migrations- und Integrationsfonds AMIF und dem Inneren Sicherheitsfonds ISF bereitgestellt worden sein.
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