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Nachrichtenverläufe bestätigen Zusammenarbeit von Frontex mit der libyschen Küstenwache

Über die Zusammenarbeit der Grenzschutzagentur Frontex und der sogenannten Libyschen Küstenwache (Bezeichnung aufgrund der mutmaßlichen und bestätigten Menschenrechtsverletzungen durch diese) wird bereits lange spekuliert. Nun sollen WhatsApp Chats einige der Vermutungen offiziell bestätigen. In Den Haag läuft ein Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof.

Die Vorwürfe gründen unter anderem auf der Tatsache, dass Frontex den zentralen Mittelmeerraum aus der Luft überwacht. Seit 2016 darf die EU-Agentur ihre eigene Ausrüstung kaufen und leasen. Das Budget für Drohnen und Flugzeuge wachst immer weiter an – heuer wurde ein Drittel des Haushaltsbudgets dafür ausgegeben.

2018 hat Frontex begonnen, die eigenen Schiffe aus dem Mittelmeer abzuziehen. Stattdessen werden nationale Küstenwachen über Koordinaten von Booten, auf denen sich Schutzsuchende befinden, in Kenntnis gesetzt. Immer öfter werden libysche Behörden informiert. Sie sollen die Boote angreifen und die Geflüchteten zurück nach Libyen bringen. Derartige Praktiken entsprächen laut Frontex dem Völkerrecht und würden sich an den internationalen Vorgaben orientieren.

Was hier gemeint ist, ist eine Regelung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS), indem Pilot:innen und Kapitän:innen zuständige Leitstellen für Seenotrettung (Maritime Rescue Coordination Centre, MRCC) benachrichtigen müssen. Neben Verständigung der zuständigen Behörden ist außerdem eine Funkbenachrichtigung an Schiffe, die sich in der Nähe befinden, vorgesehen. Hierfür ist der offene Notfallkanal 16 vorgesehen.

Die Beteiligung Libyens an der Seenotrettung ist allerdings sehr jung. Ursprünglich wurden alle im zentralen Mittelmeer aufgegriffenen Personen von Italien und Malta gerettet. Um aber die Zahl an Übertritten am zentralen Mittelmeer zu reduzieren, wurde 2017 das Italienische Innenministerium beauftragt, eine libysche Seenotstelle zur Entgegennahme von Frontex-Meldungen einzurichten. Gleichzeitig wurde eine Seenotrettungs-(SAR)zone angemeldet. Unterstützt wurden diese Unterfangen durch die Europäische Kommission mit einem Budget von 42 Millionen Euro. Die internationale Seeschifffahrtsorganisation nahm den Antrag an und legitimierte so die Leitstelle in Libyen, obwohl mehrere der Anforderungen nicht eingehalten wurden. Dazu zählen Erreichbarkeit, Sprachkenntnisse und Infrastruktur.

Die Zusammenarbeit von Frontex mit der sogenannten libyschen Küstenwache ist außerdem ein Verstoß gegen das „Non-Refoulement-Prinzip“ und daher völkerrechtswidrig. Die Rückführung Geflüchteter in Länder, in denen sie mutmaßlich Gewalt erwartet, ist auch ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Gleichzeitig sind Frontex sowie alle EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, in jeder sich in Seenot befindenden Person Hilfe zu leisten.

Erst kürzlich wurden weitere 15 Millionen Euro zum Ausbau der Libyschen Seenotrettung bereitgestellt. Die bisherige Infrastruktur wird als sehr rudimentär beschrieben. Dies ist vermutlich auch der Grund für die bisherige Kommunikation zwischen Frontex und Libyschen Küstenwachen via WhatsApp. Infos, Koordinaten und sogar Fotos von Booten Geflüchteter sollen auf diesem Weg geteilt worden sein – ein klarer Verstoß gegen das EU-Recht.

Fabrice Leggeri, der Frontex-Generalsekretär, bestritt die Vorwürfe der direkten Kooperation zwischen Frontex und Libyen in einem EU-Sonderausschuss. Später ruderte er zurück und bezeichnete den Informationsaustausch als „Notfallskommunikation“. Auszüge aus dem Nachrichtenverlauf zeigen allerdings stetige Kommunikation über mindestens zehn Tage hinweg.

Am 27. Mai dieses Jahres soll es einen längeren Austausch über vier gesichtete Boote gegeben haben. Immer wieder kam in diesen Nachrichten auch das libysche Patrouillenschiff „Ras Al Jadr“ vor, das ein Geschenk von Italien war und von Milizen betrieben wird. An diesem Tag sollen zwischen 245 und 294 Personen Opfer von sogenannten „Pullbacks“ gewesen sein. Die Anweisungen und Informationen dazu sollen von der Frontex-Luftüberwachung gekommen sein.

Es wird auch spekuliert, dass Informationen über sich in Seenot befindende Schutzsuchende nicht mehr vollständig an alle Schiffe in der Umgebung weitergegeben wird. Laut Frontex sei dies zwar möglich, aber nur, falls die Menschenleben nicht unmittelbar gefährdet wären. Seenotretter:innen der Organisation SeaWatch bestätigen die Vermutung, dass der allgemeine Austausch nur Teile der nötigen Informationen enthalte.

Durch diese direkte Zusammenarbeit macht sich Frontex mitverantwortlich, sowohl für Rückführungen in ein Land, indem Menschen missbraucht, gefoltert und getötet werden, als auch für einige der zahlreichen Menschen, die im Mittelmeer ertrinken.

Quellen:
https://netzpolitik.org/2021/whatsapp-nach-libyen-wie-frontex-mit-einer-list-das-voelkerrecht-umgeht/

https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-9-2021-001268-ASW_DE.html

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