Fabice Leggeris Rücktritt ist nun knapp drei Wochen her. Vorwürfe gegen Frontex, die Europäische Grenz- und Küstenwachenagentur, deren Generaldirektor Leggeri von 2015 bis zum 29. April war, haben sich in den letzten Jahren und Monaten gehäuft. Einerseits wurde der Agentur das Schweigen zu und die mögliche Verwicklung in Pushbacks – illegale Rückführungen – vorgeworfen. Andererseits haben Ermittlungen des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung Olaf den ehemaligen Leiter der Agentur unter Druck gesetzt. Vorwürfe der Antikorruptionsbehörde beklagen unter anderem einen autoritären Führungsstil und Missmanagement.
Schon vor Leggeris Zeit als Chef gab es Kritik an der Agentur. 2009 wurden Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen in Libyen und Italien, 2012 und 2013 an der türkisch-griechischen Land- und Seegrenze geäußert. Konkret weisen die Recherchen von Human Rights Watch und Pro Asyl auf systematische völkerrechtswidrige Rückführungen Geflüchteter hin. Im Bericht von Pro Asyl wurden die griechische Regierung, die Grenzpolizei und die Küstenwache direkt angeklagt. Indirekt richteten sich die Vorwürfe aber auch an die Europäische Union, die dem griechischen Asyl- und Migrationssystem beachtliche finanzielle Unterstützung zukommen ließ (und lässt) sowie Frontex, die damals bereits in dem Gebiet im Einsatz waren.
Leggeris Vorgänger Ilkka Laitinen erklärte zu den Pushbackvorwürfen aus dem Jahr 2012: „Ich kann nicht bestreiten, dass es diese Fälle gegeben hat“. Folgen gab es nicht, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) Pushbacks als menschenrechtswidrig verurteilt haben und für Frontex als nicht zulässig erachteten.
In der Vergangenheit wurde Frontex auch ein systematisches Transparenzproblem vorgeworfen. Auf eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten im Jahr 2019 durch Statwatch folgend implementierte die Agentur ein öffentliches Dokumentenregister, zu dem sie gemäß der Verordnung 1049/2001 bereits seit ihrer Gründung verpflichtet gewesen wäre. Statewatch zufolge ist dieses aber lückenhaft. Einige Dokumente, die zuvor auf der Website von Frontex einsehbar waren, sollen außerdem mit der Implementierung des Registers verschwunden sein. Dokumente, die aufgrund sensibler Inhalte nicht veröffentlicht werden können, müssten zumindest als solche angeführt werden.
Die Lettin Aija Kalnaja, ehemalige Vizegeneraldirektorin, ist die vorläufige Nachfolgerin Leggeris. Ob sie den Posten langfristig übernimmt, entscheidet der Frontex-Verwaltungsrat im Juni. In ihrer ersten Mail schreibt sie, Rechte von Asylsuchenden müssten gewahrt werden. Diese Forderung, die auf einen Führungsstil, der sich deutlich von dem Leggeris unterscheidet, schließen lässt, wirft die Frage auf, welche Aufgaben Frontex erfüllen soll und was die Agentur dabei darf und nicht darf. Als Leggeris ehemalige Vize ist Kalnaja allerdings keine neue Mitarbeiterin. Auch wenn mehrere Medien, darunter der Spiegel, immer wieder betonen, dass Leggeri die Agentur „wie ein Monarch“ geführt haben soll, war die neue Generaldirektorin zumindest bis zu einem gewissen Grad in die Aktivitäten der Agentur involviert.
Europäische Politiker:innen wie der österreichische Innenminister Karner fordern eine „starke Grenzschutzagentur“ und einen „robusten Außengrenzschutz“. Denn obwohl Pushbacks gegen Europäisches Recht, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Flüchtlingskonvention, Internationales Seerecht und Frontex‘ eigenes Regelwerk verstoßen, besagt eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2014, dass es erlaubt ist, eine Kursänderung bei Booten zu erzwingen, wenn sich diese nicht in Seenot befinden. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass das sogenannte Non-Refoulement-Prinzip, das in der Genfer Flüchtlingskonvention und in Artikel 18 und Artikel 19 der EU Grundrechtecharta sowie in der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Verfahren zur Gewährung und Aberkennung von internationalem Schutz verankert ist, trotzdem gültig ist, und, dass viele Quellen darauf hinweisen, dass Personen, die ihr Ziel, sei das auf See- oder Landweg, bereits erreicht haben, wieder zurückgebracht werden. Dies ist ein ganz eindeutiger Rechtsbruch gemäß Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Unterdessen wird der weitere Ausbau der Agentur geplant. Die ständige Reserve soll bis 2027 über 10.000 Einsatzkräfte verfügen und das Budget soll auf 1,3 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Am Ausbau will sich auch die Schweiz beteiligen. Am vergangenen Sonntag stimmten 71,5 Prozent der Schweizer:innen für eine Beteiligung am Ausbau. Die Schweizer Bundesregierung warnte die Bevölkerung im Vorfeld, sollte entgegen der Beteiligung gestimmt werden, könnte das Land aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden.
Quellen:
https://www.derstandard.at/story/2000135584790/frontex-wie-gehts-weiter-mit-den-eu-grenzschuetzern